Huhn, Ei oder Gans
Ich war ja auch an der Internet-Fundraising Masterclass von Oscar Lüthi -
das Thema hat mich jetzt die ganze Woche beschäftigt, nicht zuletzt, weil in
einer der Pausen die Diskussion entbrannte, ob eFundraising überhaupt
erfolgreich werden kann. Ich meine: JEMALS?! Kann man das überhaupt
fragen?
OK, fair enough ... fragen darf man immer. Aber bei einem deutlich
steigenden Anteil von
eBanking-Nutzung in der Schweiz (März 05: 28%) sowie beständigen Wachstumsraten
bei den Online-Verkäufen (vgl CH
04, USA,
Versandhandel DE) und den regelmässigen Aufschlägen beim Porto, denen
wir heuer
nur knapp entronnen sind, scheint mir die Frage - hm? - doch ein
bisschen auf der langsamen Seite. Warum sollten ausgerechnet SpenderInnen
auf einem anderen Planeten leben?
Allerdings kann auch mein enthusiastisches eFundraiser-Ich nicht über die
Probleme hinwegsehen, die sich uns stellen: Kreditkarten-Misstrauen,
Spam-Verdruss, Stand-Alone- Newsletter-Lösungen, Datenbanken ohne
eMail-Kommunikationshistory und Opt-IN/Opt-OUT Felder, ... und
in erster Linie mangelnde Erfolgsgeschichten!
Modellfall LSV
Keinen Deut besser war es, als wir Anfang der 90-er des letzten Jahrhunderts
(!) bei Greenpeace Schweiz auf Drängen (und Nörgeln) der internationalen
Zentrale damit begannen, Lastschriftverfahren als Zahlungskanal für
Mitglieder einzuführen. Ähnlich wie jetzt beim electronic billing hatten die
Banken beim LSV bereits seit längerem vergeblich versucht, den
SchweizerInnen
das Zahlungsverfahren
schmackhaft zu machen. Tatsächlich war man so verzweifelt, dass
Fernsehspots dafür geschaltet werden mussten. LSV? Keiner kannte den
Begriff und jeder war sich sicher, dass SchweizerInnen "niemals
zustimmen werden, Dritten Zugang zu ihrem Bankkonto zu gewähren". Von
den unsäglichen dreisprachigen Formularen in
6-Punkt-Schrift, welche die Banken uns und unseren SpenderInnen zumuten
wollten, sage ich lieber nichts. 10 Jahre später meldet Telekurs
(Tätigkeitsbericht 2003) 37 Millionen Transaktionen im Bereich LSV -
2.3 Prozent mehr als im Jahr davor.
Auch wenn LSV immer noch nicht die beliebteste Zahlungsform ist, wer
könnte heute noch sagen, "man hätte es besser nicht eingeführt": Die
"Treue" von LSV-ZahlerInnen ist unerreicht, ihr Durchschnittsalter
angenehm untypisch und die Erfolgsgeschichte des Direct Dialog
(Strassenstand-Aktionen) zur NeuspenderInnen-Gewinnung wäre ohne Lastschriftverfahren und Direct Debit überhaupt unvorstellbar.
Huhn, Ei oder Gans?
Und jetzt die elektronische Rechnung: Das
unaussprechliche EBPP (Electronic Bill Presentment and Payment) könnte
allenfalls eine Lösung für das Kreditkarten-Misstrauen sein, welches den
Online-Spenden Steine in den Weg legt ... Zum Spenden wäre die Idee
nahezu ideal: Wir schicken den Spendenaufruf oder die
Mitgliedschaftsrechnung als PDF los und sie landet flugs im
eBanking-Briefkasten der SpenderInnen. Näher ans Spenden-per-Mausklick
kommen wir nie mehr!
Ein jüngst veröffentlichter Arbeitsbericht des Instituts
für Wirtschaftsinformatik der Uni Bern verheisst leider nichts
Gutes: "Die Durchsetzung und damit der Erfolg eines
technologiebasierten Verfahrens wie EBPP hängt von den
Adaptionsentscheidungen der verschiedenen betroffenen
Interessensgruppen ab." Die Netzwoche 42/2005 deutscht aus: "EBPP
leidet wie jedes Netzwerkprodukt am Huhn-oder-Ei-Problem".
Alle warten darauf, dass der Zug endlich abfährt, damit sie aufspringen
können ... bloss wird der Zug so nicht fahren! Und wir können demnach noch
lange nicht das Porto sparen, dass mittlerweile bis zu 50% unserer
Kosten für Mailings ausmacht. Huhn oder Ei hin oder her werden wir mit
unseren goldenen Eiern vorderhand bei all den Gänsen der Post mitmarschieren.
Weitere Links:
Erhebung Elektronische Zahlungsmittel im Internet (Diplomarbeit Z:W, 10/2004)
Zahlungsmethoden für Online-Shops (Studie FHBB, 2003)